Cannabis gewinnt politisch an Bedeutung
Joos Tarnutzer präsidiert seit fast zehn Jahren die fachtechnische Konferenz der kantonalen Suchtbeauftragten (KKBS). Im Interview mit Gaby Szöllösy erörtert er neue Entwicklungen im Suchtbereich und argumentiert, warum es einen innovativen Umgang mit Cannabis braucht.
Joos Tarnutzer, was hat sich im Suchtbereich während der langen Zeitspanne Ihres Präsidiums verändert? Es hat sich gezeigt, dass die Suchtpolitik, die historisch gewachsen ist, Anpassungen benötigt.
Inwiefern? Nehmen wir das Beispiel Cannabis: Das Thema gewinnt politisch an Bedeutung. Der Gesetzgeber hatte bisher vor allem bei der Kriminalisierung des Konsums und Handels angesetzt und später das Bussenmodell für Konsumierende eingeführt. Nun wird immer augenfälliger, dass es eine Veränderung in Richtung Regularisierung braucht. Entsprechende Pilotversuche haben den Boden hierzu bereitet.
Die KKBS hat im vergangenen Jahr ein Positionspapier hierzu erarbeitet und postuliert einen relativ radikalen Wechsel….. Wir sind uns mit den Suchtfachverbänden einig, dass der Markt für Cannabis regularisiert werden muss, um den Schwarzmarkt einzudämmen. Das Prinzip lautet: Der Zugang zu Cannabis ist möglich, aber kontrolliert. Gleichzeitig soll der Konsum nicht gefördert werden. In unserem Positionspapier fokussieren wir uns stark auf Vollzugsfragen der Kantone im sozialen und Gesundheitsbereich und vor allem kümmern wir uns darin stark um den Jugendschutz.
Was bedeutet dies konkret? Wir vertreten – in Analogie zum Alkoholgesetz – eine Regulierung ab 16 Jahren mit einem begrenzten THC-Gehalt. Aus Studien wissen wir, dass ein grosser Prozentsatz der Personen bereits mit 15 oder 16 zu konsumieren beginnt. Wenn wir den Zugang erst ab 18 ermöglichen, schieben wir genau jene Jugendlichen wieder in den Schwarzmarkt ab, die am stärksten unseren Schutz benötigen.
Ist die Zeit reif für ein solch innovatives Konzept? Es kann gut sein, dass dies politisch nicht mehrheitsfähig ist. In diesem Fall muss man in flankierende Massnahmen zugunsten des Jugendschutzes investieren: Drug checking und eine Verbesserung der Beratungs- und Behandlungsangebote für Minderjährige.
Wo orten Sie als Präsident der KKBS die Herausforderungen fürs Jahr 2024? Es gibt sehr viele Themen, die von unseren Mitgliedern oder auch von aussen an uns herangetragen werden. Es geht für uns und für mich als Präsident darum, abzuwägen, was nun prioritär ist.
Was hat in Ihren Augen Priorität? Vielleicht die Entwicklung der offenen Crack-Szene? Unter anderem, ja. Das Problem ist nicht primär die Droge Crack; sondern, dass das Hilfssystem nicht optimal darauf eingerichtet ist. Wir müssen das Angebot zur Schadensminderung anpassen – und ausweiten: Noch kennen wir nicht in der ganzen Schweiz wirksame Unterstützungsangebote. Noch immer gibt es Regionen ohne Konsumräume. Wir haben übrigens die Hochschule Luzern mit einer Bestandesaufnahme zu den Strukturen im Suchtbereich mandatiert. Die Studie zeigt grosse Unterschiede bezüglich Zugang und Finanzierung von Angeboten und empfiehlt Anpassungen.
Konkret? Unsere Überlegungen gehen dahin, dass man als Pilotversuch Versorgungsregionen über mehrere Kantone hinweg bilden könnte, die zusammenarbeiten und gemeinsam mit einem Forschungsinstitut eruieren, wie die interkantonale Zusammenarbeit und Aufgabenteilung noch optimiert werden könnten.
Da müssen Sie Ihre politischen Vorgesetzten davon überzeugen… Es wird unsere Aufgabe sein, die politische Ebene dafür zu sensibilisieren. Wir werden dafür ein Positionspapier für den Vorstand SODK erarbeiten.